Dreißig Jahre nach der tödlichen Lawine von Súðavík zeigt ein neuer Untersuchungsbericht, wie grundlegend sich der Lawinenschutz in Island verändert hat. Milliardeninvestitionen, neue Gesetze und moderne Schutzanlagen haben das Risiko reduziert, doch Experten sagen auch: Absolute Sicherheit wird es in einem sich ständig verändernden Land nie geben.
„Wir befinden uns in einer völlig anderen Situation als vor dreißig Jahren“, erklärt der Vorsitzende des Lawinenschutzkomitees, dass sich die isländische Gesellschaft heute in einer grundlegend anderen Lage befindet als vor dreißig Jahren. „Lawinenrisiken ließen sich nicht mehr einfach verdrängen oder politisch vertagen, gleichzeitig sei es trotz moderner Technik unmöglich, sämtliche Gefahren vollständig auszuschließen“.
Anlass ist der gestern veröffentlichte Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission zu der tödlichen Lawine von Súðavík vor dreißig Jahren. Der Bericht macht deutlich, wie schlecht viele Gemeinden damals auf Lawinengefahren vorbereitet waren.
Unzureichende Vorsorge in den 1990er-Jahren
Zur Zeit der Lawinen in Súðavík und Flateyri verfügte nur eine von zehn dauerhaft gefährdeten Gemeinden über ein funktionierendes Überwachungssystem. Risikobewertungen führten häufig zu politischen Konflikten, während insbesondere kleine Kommunen finanziell nicht in der Lage waren, Schutzanlagen zu errichten.
Die Untersuchungskommission nennt keinen einzelnen Grund für das Ausbleiben von Schutzbauten in Súðavík, bewertet jedoch die hohen Kosten als wahrscheinlichstes Hindernis. Die finanziellen Belastungen seien für den Bezirk nicht tragbar gewesen.
Politisches Versäumnis und späte Gesetzesänderungen
Nach der Katastrophe räumte die Regierung ein, ihre Verantwortung vernachlässigt zu haben. Der damalige Umweltminister Össur Skarphéðinsson erklärte 1995 im Althingi, es habe an Engagement auf staatlicher, kommunaler und gesellschaftlicher Ebene gefehlt.
Ein Gesetzentwurf zur Verbesserung des Lawinenschutzes lag bereits Monate vor der Lawine vor, wurde jedoch als zu kompliziert angesehen und nicht rechtzeitig umgesetzt. Erst nach weiteren tödlichen Lawinen, unter anderem in Flateyri, kam es zu umfassenden gesetzlichen Änderungen.
Neues Gesetz und klare Zuständigkeiten
Zwei Jahre nach den schweren Lawinen wurde ein umfassendes Gesetz zum Lawinen- und Erdrutschschutz verabschiedet. Der Lawinenfonds wurde erheblich aufgestockt, ein eigenes Fachkomitee eingerichtet und klare Zuständigkeiten für Risikobewertungen und Schutzmaßnahmen festgelegt.
Seit Inkrafttreten des Gesetzes wurden Schutzanlagen errichtet und gefährdete Häuser im Wert von rund 45 Milliarden Kronen aufgekauft. Aktuell laufen Bauprojekte an fünf Standorten im Land. Weitere Investitionen in Höhe von rund 20 Milliarden Kronen sind vorgesehen, hinzu kommen schätzungsweise neun Milliarden für Reparaturen und Wiederaufbau. Die Arbeiten sollen nach aktueller Planung bis 2033 abgeschlossen sein.
Staatliche Unterstützung für Gemeinden deutlich ausgebaut
Der Vorsitzende des Lawinenschutzkomitees betont, dass die Gemeinden heute umfassend unterstützt werden. Der Staat übernimmt bis zu 90 Prozent der Kosten für Schutzanlagen. Können Kommunen den verbleibenden Anteil nicht selbst aufbringen, erhalten sie entsprechende Darlehen.
Die Gefahrenzonen seien heute weitgehend identifiziert. Auch nach der Errichtung von Schutzbauten würden die Risiken regelmäßig neu bewertet.
Lawinen bleiben eine reale Bedrohung
Trotz erheblicher Fortschritte bleiben Lawinen und Erdrutsche eine dauerhafte Gefahr für viele Gemeinden. In den vergangenen Jahren kam es unter anderem zu schweren Lawinen in Flateyri, zu einem massiven Schlammlawinenabgang in Seyðisfjörður sowie zu einem Lawinenereignis in Neskaupstaður, bei dem Wohnhäuser beschädigt wurden.
In den letzten zwei Jahrzehnten trafen 58 Lawinen auf Schutzdämme im ganzen Land, die Schneemassen in vielen Fällen erfolgreich von Siedlungen weglenkten.
Absolute Sicherheit ist nicht erreichbar
Moderne Schutzanlagen werden heute weiter oben und steiler am Berghang errichtet, um Schnee möglichst früh zurückzuhalten. Dennoch könne, so das Komitee, hundertprozentige Sicherheit nicht gewährleistet werden. Wo Wohngebiete besser geschützt seien, verlagerten sich Risiken teilweise, etwa auf Verkehrswege.
Der Schutz vor Lawinen sei daher eine dauerhafte Aufgabe. Island sei ein aktives, sich ständig veränderndes Land.
Offener Umgang mit Risiken und weniger politische Blockaden
Der Geologe Þorsteinn Sæmundsson erklärte bei der Vorstellung des Untersuchungsberichts, dass Risikobewertungen früher häufig politisiert wurden. Dieses Risiko sei heute deutlich geringer. Gesellschaft, Entscheidungsprozesse und Anforderungen hätten sich grundlegend verändert.
„Wir befinden uns in einer völlig anderen Situation als vor dreißig Jahren“, so der Vorsitzende des Lawinenschutzkomitees. „Die Lawinengefahr verschwindet nicht von heute auf morgen, aber der Umgang damit ist heute professioneller, transparenter und langfristiger angelegt.“
Titelfoto Denkmal in Súðavík an die Verstorbenen des Lawinenunglücks / Mirjam Lassak
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