Autorin: Silke Joosten, Egilsstaðir
Whale watching abseits des Massentourismus
Hólmavík – ein 400-Seelendorf am Rande der Westfjorde. Hier stehe ich im Hafen und schaue zum Himmel. Es ist bewölkt, hoffentlich bleibt es wenigstens trocken. Eigentlich war Sonne angesagt, aber darauf kann man sich auf Ísland ja nie verlassen, wenigstens ist es nicht allzu windig. Um 13 Uhr habe ich eine Whale watching Tour bei Láki Tours gebucht.
Langsam gehe ich zum Anlegesteg. Vor dem Boot treffe ich auf andere Gäste. Ich zähle durch: Wir sind insgesamt 19 Personen. 15 Minuten vorher können wir an Bord. Eine freundliche Mitarbeiterin, die später als Jo die Kapitänin vorgestellt wird, hilft uns hinein und weist uns gleich den Weg ins Bootsinnere.
Hier wartet bereits Judith, unsere Guide, und checkt die Gäste ein. Wir warten im Bootsinneren auf die Einweisung. Kurz und dynamisch klärt uns Judith über die wichtigsten Sicherheitsmaßnahmen an Bord auf: Beide Füße an Deck, kein Klettern, kein Rennen, kein Springen, Rauchverbot.
Outdooranzüge für Wind und Wetter bekommen wir heute keine ausgehändigt. Die sind auch nicht nötig, da man in der Regel von hier nicht weit hinausfahren muss. Auf wetterfeste und warme Kleidung wurde ich bereits im Vorfeld hingewiesen. Da der Fjord meistens recht ruhig ist, soll hier auch Seekrankheit kein Thema sein.
Danach gibt es von Judith einen kurzen Faktencheck zu den Walen im Fjord und über die Sichtungen in der Vergangenheit. Überwiegend werden hier Buckelwale gesichtet. In dieser Saison gab es bisher eine 100% Quote, was mich hoffen lässt, dass ich auch welche zu sehen bekomme. Es gab ebenfalls seltene Sichtungen von Blauwalen, Zwergwalen, Delfinen und Orcas, die, wie Judith aber sagt, statistisch verschwindend gering sind. Die besten Orca-Sichtungen gibt es übrigens von Ólafsvík aus.
Judith arbeitet seit über 25 Jahren weltweit mit Walen und in der Saison für Láki Tours. Erst in Ólafsvík und seit 2017 ist sie fest in Hólmavík mit dabei. Und sogleich beraubt sie allen Walenthusiasten einer Illusion. „Nein, die Wale werden mit großer Wahrscheinlichkeit nicht springen!“ Ich werde das immer wieder gefragt, sagt sie. „Aber das hier ist die Natur. Die Wale tun das, was sie immer tun. Sie schwimmen, tauchen auf, atmen, tauchen ab, fressen. Aber sie sind nicht dafür da, für uns zu performen. Und das hier ist kein Aquarium.“
Und dann geht es raus an Deck. Routiniert fährt Jo das Boot aus dem Hafen hinaus. Judith klettert auf das obere Deck, von wo aus sie die beste Weitsicht hat. Als wir rausfahren, fällt mir auf, dass sich hier kein weiteres Whale-watching-Boot befindet, auch keine Fracht- oder Kreuzfahrtschiffe. Wir haben den Fjord ganz für uns. Ich empfinde das als sehr angenehm, nicht ständig von anderen Schiffen umgeben zu sein. Allein diese Tatsache spricht schon für den Standort Hólmavík.
Es dauert gerade mal 10 Minuten, bis Judith etwas erspäht hat. Per Funk dirigiert sie Jo in die Richtung. Jetzt sehe ich es auch. In etwas Entfernung ein Blas, den der Wal beim Auftauchen und Atmen ausstößt. Wir bleiben mit dem Boot aus einiger Entfernung stehen und warten, was passiert. Ein Mindestabstand zu den Walen muss immer gewährleistet sein. Ein Verhaltenskodex regelt die Sicherheitsabstände zu den Tieren, um diese nicht zu stressen oder gar zu verletzen.
Der Buckelwal taucht noch 3 x auf, bevor er ein letztes Mal tief Luft holt und endgültig abtaucht. Jo hat das Boot so gedreht, dass wir den Wal auf der linken Bootseite zu sehen bekommen. Und so können wir alle auf der ganzen Seite verteilt dem Wal beim Abtauchen zuschauen. Als er seine Fluke zeigt, klicken um mich herum wie wild die Kameras. Begleitet von begeisterten Ahs und Ohs taucht der Wal in den dunklen Tiefen des Ozeans ab. Im Gegensatz zu filigraneren Walarten, wie Zwergwal, Finnwal oder auch Blauwal, nutzt der behäbigere Buckelwal seine Fluke, um tiefer abtauchen zu können. Und eben diese Fluke macht ihn so beliebt bei den Gästen.
Jetzt heißt es, ein paar Minuten zu warten. Vielleicht sehen wir ihn schon in Kürze wieder. Walbeobachtung hat auch immer etwas mit Geduld zu tun. Die durchschnittliche tiefere Tauchzeit beträgt ca. acht bis zehn Minuten. Und tatsächlich, nach ein paar Minuten taucht er wieder auf und das Prozedere beginnt von vorne. Als er wieder abtaucht und die Ahs und Ohs der Gäste verstummen, lassen wir ihn wieder allein und fahren weiter, um nach anderen Walen Ausschau zu halten.
Judith hat bereits einen weiteren Buckelwal entdeckt. Schon von weitem erkennt sie ihn. „Das ist Vampire“, ruft sie zu uns runter. Wenn Buckelwale beim Abtauchen die Unterseite ihrer Fluke zeigen, ist das wie ein genetischer Fingerabdruck und man kann so die verschiedenen Wale auseinanderhalten. Unter happywhale.com kann jeder Bilder von Fluken hochladen und schauen, ob dieser Wal bereits registriert ist und seine Wanderroute verfolgen. Heute sehen wir insgesamt fünf verschiedene Buckelwale.
Mehr als das Abtauchen berührt es mich, die Tiere atmen zu hören und zu sehen, wie sie ruhig durchs Wasser gleiten. Sie strahlen eine unglaubliche Ruhe aus. Es sind wirklich sanfte Riesen.
Zwischen den Walen tauchen immer wieder Papageitaucher auf. Die putzigen kleinen Kerlchen schwimmen im Fjord herum und erfreuen sich großer Beliebtheit. Anfang bis Mitte August werden sie ihre Brutstätten verlassen und ihr Leben wieder ausschließlich auf dem Meer verbringen.
Auf der Rückfahrt kommt Judith nach unten und stellt sich in die Mitte, damit alle sie sehen und hören können. Sie hat ihren Katalog dabei, in dem sie 269 Wale mit Bildern aufgelistet hat, die sie hier im Fjord in den letzten Jahren gesichtet hat. Manche waren nur einmalige Gäste, manche kommen immer wieder, so wie auch Vampire, den wir heute gesehen haben. Sie erklärt uns die Unterschiede der „Feeding“ und „Breeding Grounds“, dass Bartenwale Einzelgänger sind, da sie nicht die Gruppe benötigen, um zu jagen, Größe und Gewichte der Wale usw.
Die Menschentraube, die um Judith steht, hört wie auch ich, gebannt zu. Immer wieder werden Fragen gestellt und man merkt Judith förmlich an, wie sie für ihre Arbeit brennt. „Wie alt werden Wale?“ „Gab es auch schon mal Zwillingsgeburten?“ „Wie lange ist die Tragezeit?“ „Warum springen Wale?“ usw.
Bitte esst keine Wale und keine Papageitaucher in Restaurants
Das Wissen, das sie hat, hat sie nicht aus Lehrbüchern, sondern aus der Zeit, die sie unter anderem in Antarktika, Südafrika oder der Karibik mit Walen verbrachte. Man merkt ihr an, dass sie noch so viel mehr zu erzählen hätte, aber nach gut 2 Stunden legt das Boot wieder an. Einen letzten Hinweis lässt sie sich aber nicht nehmen. „Bitte esst keine Wale und keine Papageitaucher in Restaurants.“ Mit diesen Worten lässt sie uns von Bord.
Eine schöne Tour geht zu Ende und sogar die Sonne hat sich in der letzten halben Stunde noch blicken lassen. Ich lächele, als ich von Bord gehe und schaue gleichzeitig in viele glückliche Gesichter. Ich freue mich, dass es nicht nur mir so geht und bin mir sicher, dass es nicht meine letzte Tour war.