Ólafsvík: Ein Hafen voller Abenteuer und Erwartungen
Mein Blick schweift zu dem blauen ausrangierten Bus mit dem aufgemalten Papageitaucher und ich überlege gerade, wie oft ich hier wohl schon gestanden habe, um einen Overall entgegenzunehmen, um anschließend voller Vorfreude aufs Schiff zu gehen. Ich stehe mal wieder am kleinen Hafen in Ólafsvík auf der Halbinsel Snæfellsnes bei LákiTours und warte darauf, dass es losgeht, wie bereits unzählige Male zuvor.

Warum Ólafsvík ein einzigartiger Ort für Orca-Sichtungen ist
Seit 6 Jahren lebe ich auf Ísland und seitdem bin ich regelmäßig Gast hier. In der Zeit, als ich noch in Borgarnes wohnte, war es häufig nur ein schneller Tagestrip, seitdem ich aber in Ostisland lebe, ist es besonders im Frühjahr oft eine wetterbedingte Herausforderung. So nutze ich gerne verlängerte Wochenenden und Ferienzeiten, um die Strecke von fast 700 km und einige Pässe zu überwinden.

Eine Reise, die sich lohnt: Von Ostisland nach Snæfellsnes
Während ich so warte, lasse ich die letzten Jahre Revue passieren. Was habe ich hier nicht schon alles erlebt und für großartige Sichtungen gehabt. Meinen ersten springenden Buckelwal, meinen ersten Pottwal, Grindwale und Delfine.

Im Frühjahr liegt mein Focus aber ganz auf Orcas. Die Orca-Saison beginnt hier Mitte Februar und geht grob gesagt bis Ende Juni. Nichtsdestotrotz werden in der Zeit auch andere Wale und Delfine gesichtet. Die ganze Saison erstreckt sich bis ca. Mitte September. Und trotz der überragenden Sichtungsquote, muss man auch sagen, dass man sich hier inmitten der Natur befindet. Ob die Wale sich zeigen und wie viele man von ihnen sieht, liegt nicht in Menschenhand. Die Wale tun einfach das, was sie in ihrer natürlichen Umgebung so tun: abtauchen, auftauchen, fressen und sich fortpflanzen. Ich empfinde es immer noch als großes Privileg, einen kleinen Blick auf ihr Leben werfen zu dürfen.
Rückblick: Unvergessliche Begegnungen mit den Giganten der Meere
Aber natürlich hatte ich auch im Laufe der Jahre einige persönliche Highlights. Die meisten davon muss ich in meinem Gedächtnis behalten, da sie entweder so unerwartet gekommen sind, dass ich den Auslöser meiner Kamera nicht rechtzeitig drücken konnte, oder aber, dass die Bilder nicht die Realität und das Gefühl, das man dabei hatte, wiedergeben können. „Das große Fressen“, so nenne ich eine meiner interessantesten Sichtungen. An die Anzahl der Tiere kann ich mich nicht mehr genau erinnern, aber es waren viele. Viele, die im Kreis schwammen und ihre Beute zusammentrieben. Mittendrin ein riesengroßer Schwarm Basstölpel, die im Sekundentakt wie Pfeile ins Wasser stießen, um von der Jagd der Orcas zu profitieren und sich einen Teil der Beute zu sichern. Rund um Ísland gehört der Hering zu den bevorzugten Nahrungsquellen der Orcas.

Die Faszination Orca: Mehr als nur ein Killerwal
Orcas gehören, wie auch Delfine, Pottwale und Grindwale, zu den Zahnwalen, während Buckelwale, Blauwale und Zwergwale den Bartenwalen angehören. Und auch wenn der Orca gerne als Wal (Schwertwal, Killerwal) bezeichnet wird, gehört er doch zu den größten Delfinen.
Gut vorbereitet: Von Overalls bis Wetterbedingungen
Die Stimmen anderer Fahrgäste holen mich zurück in die Gegenwart. Die Ausgabe der Overalls beginnt. Zuvor hatte ich bereits in dem kleinen Büro meine Buchung vorgelegt und eine Marke entgegengenommen, die ich jetzt gegen den Overall eintausche. Und auch dieses Mal freue ich mich darüber, dass der Anzug über Reißverschlüsse seitlich an den Beinen verfügt, so dass man auch mit Schuhen hineinsteigen kann und nicht erst seine Wanderschuhe ausziehen muss, um in ihn hineinzuschlüpfen.
Ich fühle mich darin eh immer wie ein Michelin Männchen, aber so geht es wahrscheinlich den meisten Gästen. Leider ist der Anzug unverzichtbar, denn auch wenn es heute sonnig ist, ist es doch noch sehr kühl und auch etwas windig. Der Breiðafjörður, an dem Ólafsvík liegt, ist der breiteste Fjord Íslands und nicht unbedingt für eine durchgängige stabile und gute Wetterlage bekannt. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum sich hier keine weiteren Whale-Watching-Firmen angesiedelt haben. So gibt es hier lediglich ein Boot, das rausfährt. Man selbst und auch die Wale sind dadurch nicht von zahlreichen großen und kleinen Booten bis hin zu Schnellbooten umzingelt.
Ein weiterer secret Whale-Watching-Place ist Hólmavík. Darüber habe ich auch einen Artikel geschrieben, den ihr hier lesen könnt.
Exklusivität und Nachhaltigkeit: Whale-Watching in Ólafsvík
Als ich an Bord gehe, bleibe ich zunächst im hinteren Teil des Schiffes, meinem derzeitigen Lieblingsplatz. Letztendlich gibt es aber keinen wirklich „besten“ Platz. In meiner Anfangszeit habe ich immer nur ganz vorne gestanden. Jetzt wechsle ich meistens mehrfach meinen Standort. Ganz beliebt sind auch die Plätze auf dem oberen Deck. Und wer es lieber geschützter mag, findet im Innenraum noch Sitzplätze. Selbst bei voller Auslastung hatte ich nie ein beengendes Gefühl und immer ausreichend Platz zum Schauen und Fotografieren.



Begegnungen an Bord: Menschen, Geschichten und Leidenschaft
An Bord treffe ich einen alten Bekannten wieder. Der Brite Rob, den ich bei einer meiner Touren vor einigen Jahren kennengelernt habe, ist auch wieder hier und so lausche ich den üblichen Sicherheitshinweisen nur am Rande. Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder viele interessante Menschen bei den Touren kennengelernt. Ob Menschen wie Rob, der seine Leidenschaft bei whales.org zum Beruf gemacht hat oder Touristen, die immer wieder hierherkommen und einen Teil ihres Urlaubs an Bord verbringen. Es macht einfach Spaß, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.
Schutz und Forschung: Die Arbeit der Orca Guardians
Eine besondere Freude bereitet es mir heute, Rob einen meiner selbstgestrickten Orca- Wollpullover zu überreichen. Außerdem habe ich mich entschlossen, zukünftig 10% vom Erlös der Pullover an die Orca Guardians zu spenden. Ich habe so viele schöne Momente hier auf dem Boot verbringen dürfen, um die Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten, dass ich gerne ein bisschen was zurückgeben möchte. Die Pullover gibt es zusammen mit vielen anderen schönen Souvenirs in dem kleinen Shop, wo sich auch die Anmeldung befindet.


Die Crew besteht auch heute wieder aus Gísli, dem Kapitän des Bootes und gleichzeitig Eigentümer von Láki Tours und Mitglied bei den Orca Guardians. Spotter auf dem Oberdeck ist wie immer Marie, die gleichzeitig auch Gründerin der Orca Guardians ist, die sich der Forschung und dem Schutz der Orcas widmen.

Hier könnt ihr gegen eine kleine Spende einen Orca adoptieren und bekommt dafür Bilder und Infos zugeschickt. Im letzten Jahr fiel meine Wahl auf Captain Hook. Die Tiere lassen sich anhand ihrer Finne und der Rückenzeichnung individuell identifizieren. Seit 2014 hat Marie über 1000 Orcas identifiziert und katalogisiert. Das alleine ist schon eine echte Leistung.
Wenn ich Marie dann in ihrer Funktion als Spotter oben auf dem Boot stehen sehe, dick eingepackt in ihrem Anzug bei Wind und Wetter – und wie ich bereits erwähnte, Snæfellsnes ist für „Wetter“ bekannt –, dann weiß ich manchmal nicht, ob ich sie bewundern oder bemitleiden soll. Letzteres ist tatsächlich überhaupt nicht nötig, und das merkt man schnell, wenn man mit ihr spricht. Sie liebt ihren Job einfach, und das Wetter kann ihr so gar nichts anhaben.

Teamwork auf hoher See
Zwei weitere Guides sind mit an Bord, die sich um die Gäste kümmern, informieren, nach Walen Ausschau halten und fotografieren, sowie ein weiteres Mitglied der Orca Guardians.
Buckelwal als erstes Highlight
Bei so vielen geschulten Augen sollten sich doch auch heute Orcas finden lassen. Zunächst aber kreuzt ein Buckelwal unseren Weg. Er taucht mehrfach auf und stößt dabei seinen Blas aus, bevor er tief abtaucht und uns dabei seine Fluke zeigt. Buckelwale haben genau wie alle Bartenwale zwei Blaslöcher, während Zahnwale, wie Orcas, nur über ein Blasloch verfügen.
Endlich: Eine Gruppe von Orcas
Und dann finden wir sie endlich, eine Gruppe von vier Orcas. Übrigens lassen sich männliche Tiere u.a. durch ihre lange Rückenfinne gut von den weiblichen mit der deutlich kürzeren Rückenfinne unterscheiden.

Verhaltenskodex für Walbeobachtungen
Im respektvollen Abstand, der auch durch den Code of Conduct festgelegt ist, beobachten wir die Tiere. Dieser Verhaltenskodex stellt eine verantwortungsbewusste, nachhaltige und tierfreundliche Walbeobachtung sicher und regelt u.a. den respektvollen Abstand zu den Tieren, begrenzte Beobachtungszeit, langsames Annähern u.v.m.
Bewegende Begegnungen
Immer wieder tauchen die Orcas in Sichtweite auf. Wenn sie wieder abtauchen, schauen alle ganz gespannt, wo sie als nächstes wieder hochkommen könnten. Mehrfach nähern sie sich unserem Boot, und um mich herum höre ich die freudigen Stimmen der anderen Gäste. Auch mir rutscht ein „huch“ heraus, als ein Tier gleich neben mir auftaucht. Der Verhaltenskodex gilt halt für Menschen und nicht für die Tiere.
Ein unvergesslicher Tag
Heute sehen wir keine weiteren Orcas mehr. Aber was will man mehr? Wir haben einen Buckelwal und vier Orcas gesehen, und das Ganze bei strahlendem Sonnenschein. Selbst der Snæfellsjökull, der über 1400 Meter hohe Vulkan, der sich unter einer Gletscherhaube verbirgt, zeigt sich heute wolkenfrei in seiner ganzen Pracht.
Ausklang und Vorfreude
So trete ich nach drei Stunden glücklich meine Heimreise an. Da ich aber noch mehr Touren geplant habe, übernachte ich bei meiner Freundin in Borgarnes, die dort das Apartment Fernsicht betreibt. Ein schönes Gästehaus, das ein optimaler Ausgangspunkt für Ausflüge in die Umgebung ist. So lasse ich meinen Tag bei einer anderthalbstündigen Fahrt gemütlich ausklingen und träume schon von meiner nächsten Tour.
