Die isländische Arbeitsinspektion hat ihren Bericht zum tödlichen Unfall von Lúðvík Pétursson in Grindavík veröffentlicht, der bei Arbeiten in eine Lavaspalte gestürzt war und nicht gefunden werden konnte. Dabei wird eine zentrale Frage aufgeworfen: “War das Risiko, das mit den Bauarbeiten zur Rissverfüllung in einem Mehrfamilienhaus einherging, wirklich gerechtfertigt?”, so die Fragestellung in dem Bericht der Arbeitsinspektion. Dieser Fall verdeutlicht die Bedeutung einer gründlichen Gefährdungsbeurteilung – ein Aspekt, der hier vernachlässigt wurde.
Lúðvík Pétursson arbeitete am 10. Januar 2024 an der Verfüllung von Rissen in einem Haus in Vesturhop in Grindavik, das zwei Monate zuvor durch ein starkes Erdbeben beschädigt worden war. Während der Arbeiten verschwand er plötzlich. Ein Kollege, der kurzzeitig die Baustelle verließ, bemerkte sein Verschwinden erst bei der Rückkehr. Die Suche führte zu einem gefüllten Loch im Garten des Hauses, in das Lúðvík vermutlich gefallen war.
Die Arbeiten wurden im Auftrag der isländischen Naturkatastrophenversicherung (NTÍ) durchgeführt, die nach dem Erdbeben in Grindavík für die Sicherung der Gebäude zuständig war. Ziel der Maßnahmen war es, weitere Schäden zu verhindern. Doch die Frage, ob diese Arbeiten unter den gegebenen Umständen notwendig waren, bleibt bestehen.
Fehlende schriftliche Risikobewertung
Besonders kritisch äußert sich die Arbeitsinspektion darüber, dass keine schriftliche Gefährdungsbeurteilung der Arbeiten vorlag. Eine solche Beurteilung hätte den geologischen Zustand des Gebiets, insbesondere die Existenz eines Hohlraums unter dem Gebäude, berücksichtigen müssen. Der Bericht zeigt auf, dass das Ingenieurbüro EFLA bei der Projektausführung Verbesserungspotenzial hatte. Interviews mit den beteiligten Bauunternehmen verdeutlichen, dass die Sicherheitsvorkehrungen hauptsächlich mündlich besprochen wurden. Schriftliche Anweisungen und Kontrollen wurden dabei jedoch nicht im Detail dokumentiert. Es wurden zwar allgemeine Hinweise gegeben, wie zum Beispiel, dass Arbeiter nicht allein arbeiten sollten, aber eine systematische Überprüfung der Sicherheitsmaßnahmen fand nicht statt.
Der Unfallhergang
Am 8. Januar 2024 begannen die Arbeiten zur Rissverfüllung in dem Haus in Vesturhóp, Grindavík. Das Haus war durch das Erdbeben stark beschädigt worden, und die Arbeiten dienten der Stabilisierung des Gebäudes. Am dritten Tag der Arbeiten verschwand Lúðvík, während er Feinarbeiten an der Bodenverdichtung durchführte. Sein Kollege, der Material von einem Lastwagen holen wollte, kehrte nach etwa 30 Minuten zurück und konnte ihn nicht finden. Der Verdacht, dass Lúðvík in ein Loch gestürzt war, bestätigte sich, als sein Telefon und Arbeitsgerät in der Nähe des Lochs gefunden wurden.
Geologen erklärten später, dass sich unter dem Gebäude ein Hohlraum befand, der durch Erosion entstanden war. Wasser hatte im Laufe der Zeit Sedimente weggespült und so einen gefährlichen Untergrund geschaffen. Das Erdbeben im November 2023 verschärfte die Situation, da es zu einem Verrutschen der geologischen Schichten kam.
Sicherheitsmängel und zweifelhafte Ausrüstung
Ein weiterer Aspekt, der im Bericht kritisiert wird, ist der Zustand der Sicherheitsausrüstung. Zwar waren Absturzsicherungen vorhanden, doch sie wurden nicht verwendet. Zudem war die Ausrüstung teilweise defekt, was jedoch laut dem Bericht keinen direkten Einfluss auf den Unfall gehabt haben soll. Trotzdem stellt die Arbeitsinspektion infrage, ob die zur Verfügung stehenden Absturzsicherungen in dieser speziellen Situation überhaupt ausgereicht hätten.
Die fehlende Kontrolle und die unzureichende Vorbereitung auf die geologischen Besonderheiten des Gebiets zeigen schwerwiegende Sicherheitsmängel auf. EFLA argumentiert zwar, dass auch eine schriftliche Gefährdungsbeurteilung nicht unbedingt den Unfall hätte verhindern können, doch die Arbeitsinspektion bleibt bei ihrer Einschätzung: Eine formelle Risikobewertung wäre entscheidend gewesen.
Der Spalt war Einheimsichen bekannt
Man ging davon aus, dass das Haus auf festem Untergrund stand. Der Hohlraum, der schließlich entdeckt wurde, überraschte die Ingenieure. Das Haus liegt in der Nähe der zwei Kilometer langen Spalte Stamphólaggjá und historische Quellen erwähnen auch eine Höhle Grindavíkurhellir. Das Haus befindet sich also an der größten Spalte der Stadt, die vor etwa 2.000 Jahren entstanden ist.
Der Bodenverdichter wurde etwa zwölf Meter unterhalb des neu entstandenen Lochs entdeckt. Vom Standort des Verdichters in der Spalte waren es nur drei Meter bis zum Wasser, wobei es dort eine Tiefe von rund fünfzehn Metern haben soll. Lúdvík wurde nicht gefunden. Nach drei Tagen intensiver Suche musste diese aufgrund der schwierigen Bedingungen eingestellt werden.
War das Risiko notwendig?
„Bei der Gefährdungsbeurteilung einer Arbeit sollte immer zunächst die Frage gestellt werden, ob die Durchführung einer bestimmten Arbeit, die Risiken mit sich bringt, unbedingt erforderlich ist.“ Angesichts der Situation in Grindavík, wo das Naturkatastrophenszenario immer noch andauerte, kann man sich fragen, ob diese besondere Arbeit das Risiko wert war.“
Titelfoto Mirjam Lassak: Haus in Vesturhop in Grindavik, wo Lúðvík Pétursson in die Spalte stürzte