Eine Wanderung zu wertvollen Symbolen dessen, was war.
Straumshúsið, ich nenne es das weiße Puppenstuben-Haus mit dem knallroten Dach. Es steht westlich der ISAL-Aluminium-Schmelze in Hafnarfjörður und ist wahrscheinlich jedem, der auf der Reykjanesbraut zum Flughafen gefahren ist, schon einmal aufgefallen.
Der Schulleiter der Hafnarfjörður Kinderschule baute das Straumshúsið im Jahr 1926. Er wollte dort eine große Farm betreiben. 1986 kaufte es die Stadt Hafnarfjörður und verpachtete es für verschiedene Aktivitäten. In den 1980er Jahren wurden das Haus renoviert und beherbergte ein Kunstzentrum, das von der Stadt Hafnarfjörður betrieben wird. Der Ort ist auch beliebt, um nach Nordlichtern zu jagen, weil es ein schönes Fotomotiv ergibt.
Am Straumshúsið kannst du dein Auto parken und los geht es mit der Erkundung entlang des Óttarstaðavegur. So heißt der Schotterweg, der bis zum Meer zum Einstieg in den Tauchplatz „Óttarsstaðir Dive Site“ führt.
Verborgene, historische Schätze in der Lava
In der ersten Februarwoche unternahm ich einen Erkundungs-Abstecher nach Straumsvik. Ich wusste sofort, dass ich bei meinem nächsten Island-Besuch in der ersten April-Woche hierher zurückkehre und mir die Gegend ein wenig genauer anschauen möchte. Das gesamte Gebiet ist ein unwegsames Lavafeld mit vielen hohen Grasbüscheln, was im Sommer recht trocken werden kann. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb hat es meine Erkundungs-Neugier ausgelöst.
Im Februar war dort alles verschneit und ich konnte teils nicht richtig erkennen, wo ich trittfest laufen kann. Die schmalen Schafs- oder Wanderwege waren dennoch zu erkennen. Das gesamte Lavagebiet ist mit unzähligen Spalten und Rissen mit kleinen und großen Öffnungen und mit Höhlen übersät. Bei jedem Schritt heißt es also aufpassen, wohin ich trete. Außerdem ist dieser Teil des Lavafeldes mit interessanten archäologischen Relikten übersät. Es gibt viele alte Grundmauern, Schutzwälle, Schafspferche und Grenzmauern – alle aus Lavasteinen der Umgebung gebaut. Für mich ist es wie ein Seminar in isländischer Regionalgeschichte.
Brand im Lavafeld
Eine Woche vor meinem zweiten Besuch des Gebietes Anfang April 2023 ereignete sich am 23.3.23 genau dort ein Buschfeuer. Das Brandgebiet erstreckte sich über mehrere hundert Meter Länge, 30 Feuerwehrmänner waren im Einsatz. Starke Winde und unwegsames Gelände erschwerten die Brandbekämpfung.
Menschen kamen nicht zu Schaden. Aber ein Schafstall und eine Scheune wurden bei dem Brand schwer beschädigt, ebenso ein Fahrzeug. Die Flammen breiteten sich rasend schnell aus, begünstigt durch starken Wind und den trockenen Boden. Trotz der widrigen Umstände konnten zwei Häuser knapp gerettet werden.
Wie mbl.is berichtete, war eine Schülergruppe mit Lehrern zu einer Exkursion. Die Schüler waren auf der Suche nach Zutaten für das Kochen in der Natur. Dabei kam es unbeabsichtigt zu dem Feuer.
Zunächst war ich traurig, da ich dachte, meine geplante Wanderung dort nicht fortsetzen zu können. Ich fuhr trotzdem vorbei.
Þýskabúð – Der Deutsche Laden in Straumsvik
Bei meinen Recherchen zu dieser Story bin ich darauf gestoßen, dass nördlich von Straumur einst die „Þýskabúð“, der „Deutsche Laden“ stand. Er erhielt seinen Namen, weil deutsche Kaufleute im 14. und 15. Jahrhundert ein Geschäft am Ufer von Straumsvik gebaut und dort Handel betrieben haben. Die Relikte des verfallenen Beton-Hauses, welche über den Fundamenten des Deutschen Ladens gebaut wurden, stammen alle aus späterer Zeit und sind heute ein Lost Place.
Die Árna Magnússons Stiftung für isländische Studien führte 1993 ein Interview mit Pál Hannesson, dem damaligen Eigentümer des Deutschen Ladens durch. Er erzählt: “Der letzte Einwohner von Þýskabúð hieß Guðmundur (Björgúlfsson); er hatte den ganzen Straum. Das Haus wurde 1915 erbaut oder 1910, später eingerichtet und repariert. Ein gewisser Tjörvi Guðmundsson lebte 1911-1912 in Þýskabúð. Bevor Tjörvi dort war, baute Björn, genannt „der Deutsche“ (Þýski Björn) Häuser, in denen Deutsche im 14. und 15. Jahrhundert Handel trieben. Das Haus hatte ein Zimmer, ein Badezimmer, einen Betonkeller, ein Feld für Schlachtungen, ein Feld für Heu, einen Brunnen und mehrere (Gemüse)gärten.”
Überreste eines Tofts neben der Þýskubúð
In der Nähe des Deutschen Ladens kannst du die Reste der Grundmauern aus Lavasteinen des „Tóft við Þýskubúð“, eines kleinen Bauernhofes, sehen.
Wenn du den Óttarstaðavegur weiter gehst, siehst du auf der rechten Seite Richtung Meer ein rotes Dach von einem Haus im Dreieck-Stil leuchten. Das ist leider auch nur noch ein Lost Place, aber schönes Fotomotiv.
Entlang des Óttarstaðavegur gibt es noch die Jónsbúð zu erkunden. Das werde ich bei meinem nächsten Besuch tun und diese Story aktualisieren.
Ich bin bis zum Einstieg in den Óttarsstaðir-Tauchplatz weitergewandert. Dive.is bietet hierher Tauchtouren an.
Schafspferche und Skelette von Booten
Dort ist auch der ehemalige Schafspferch Skiparett. Er wurde aus Lavasteinen der Umgebung gebaut.
Etwas weiter rechts davon sind im Gras die Überreste von drei Schiffskeletten aus Holz zu erkennen. Nach meinen Recherchen wurden im Herbst hier die Boote umgedreht und über den Winter stehen gelassen. Wie lange sie hier wohl schon liegen?
Bunte Muscheln und eine endlose Lavamauer
Ich folge dem Schafspfad in der Lava durch das pechschwarz niedergebrannte Gras, vorbei an der Vatnsgja, wo Süßwasser mit den Gezeiten kommt und geht. Bis ich an Langabakkamöl ankomme. Früher war hier ein guter Badeplatz. Es liegen große runde Lavasteine am gesamten Strand übereinander.
Hier entdecke ich für mich etwas ganz Besonderes: Einen kleinen Abschnitt mit wunderschönen bunten Muscheln. Das erinnert mich an den geothermalen Strand in Reykjanes in den Westfjorden, dort habe ich noch vor ein paar Tagen ebensolche gesehen.
Von hier aus laufe ich weiter zu verschiedenen Lavahügeln, die gespalten sind. Die geologische Erklärung für dieses Phänomen ist, dass das glühende Magma unter der neuen Lava nicht abfließen kann, sondern sich in einem Magmastrahl sammelt. Infolgedessen erhebt sich die verfestigte Hülle, bildet Hügel und spaltet sich, wenn sie sich verfestigt. In der Umgebung von Hafnarfjörður bis zum Flughafen gibt es viele solcher zerklüfteten Lavahügel.
Von einer Anhöhe aus sind Lavasteine zu einer endlos wirkenden Mauer aufgestapelt. Von hier aus kann ich die Reykjanesbraut mit den zum Flughafen flitzenden Autos gut erkennen. Es ist so unreal, unweit jahrhundertealter Geschichte rauschen Autos entlang.
Bauernhöfe Óttarstaðir-vestri und Ottarstaðir-eystri
Ab hier ist das Gebiet als Óttarstaðir bekannt. In der weitläufigen Lava stehen der ehemalige Bauernhof Óttarstaðir-vestri oder Weststadt und Ottarstaðir-eystri, also Oststadt. Das Vieh fiel hier oft in die Lavaspalten, besonders im Winter, wenn Schnee die Lava bedeckte. Die Weiden dort waren gut, konnten aber in trockenen Sommern das Wasser verlieren.
Óttarstaðir-vestri ist ein intaktes Holzhaus. Bis 1965 befand sich in dem Gebäude ein ständiger Wohnsitz, seitdem wurde es als Ferienhaus genutzt. Innerhalb seines Geländes stehen Überreste alter, aus Lava geklopfter, Hausmauern. Der gesamte Hof wurde durch das Feuer nicht beschädigt. Wie durch ein Wunder hat es an den Lavamauern Halt gemacht.
Die Oststadt wurde vor der Jahrhundertwende abgerissen, es steht nur noch eine verfallene Scheune. Sie ist derzeit von abgebranntem Gras großflächig umgeben.
1966 stimmte der Stadtrat von Hafnarfjörður zu, das Vorkaufsrecht auf alle Grundstücke und Immobilien in Hafnarfjörður westlich von Krýsuvíkurvegar auszuüben, und das Land Óttarsstaðir gehörte dazu. Óttarsstadir ist allen modernen Bauten weitestgehend entgangen und bietet dort eine nahezu unberührte Kulturlandschaft. Das Gebiet ist heute ein beliebtes Erholungsgebiet.
Sommerhäuser
Von hier wandere ich weiter vorbei an einem Haus im Kviadalur in Richtung der beiden Sommerhäuser. Abgesehen davon lebt hier auf Straum niemand mehr. Das Feuer wütete hier stark, die Sommerhäuser wurden nicht beschädigt.
Hier schließt sich meine Runde und ich bin wieder auf dem Óttarstaðavegur angekommen. Auf dem Weg zu meinem Auto biege ich aber noch nach Glaumbaer ab. Hier soll ein Kinderheim gestanden haben. Ich finde nur noch drei Ruinen vor.
Runen oder Zauberzeichen?
Zurück in Richtung Reykjanesbraut bin ich auf eine Schale aus bearbeitetem Lavastein mit interessanten Zeichen gestoßen. Ich dachte zunächst, es sind Runen. Ich habe sie nicht sofort wahrgenommen, erst beim genaueren Hinsehen entdeckte ich, dass hier Zeichen eingeritzt sind, die schon älter sein mussten, da sie teils mit Moosen und Flechten überwachsen sind. Ich glaube, wer an Steinen kein Interesse hat, übersieht sie sowieso.
Ich habe Fotos an die Universität Kiel, Institut für Skandinavistik, Akademieprojekt „RuneS“, eingesendet. Von dort bekam ich umgehend eine Antwort und möchte mich an dieser Stelle nochmals herzlich für folgende Antwort bedanken:
„… haben Sie vielen Dank für Ihre Mail und die interessanten Bilder. Wie rezent diese Ritzungen sind, kann ich auf Grundlage der Bilder leider nicht sagen, es handelt sich jedoch mit Sicherheit nicht um Runenzeichen im herkömmlichen Sinne. Das von Ihnen dokumentierte Zeichen erinnert mich eher an die in der frühen Neuzeit (vor allem im 16. und 17. Jh.) in Island verbreiteten Galdrastafir, also Zauberzeichen oder “Zauberstäbe”, die für bestimmte magische Zwecke genutzt und in Zauberbüchern (galdrabækur, Sg. galdrabók) und Grimoires zusammengestellt wurden.
In einem Fall wird eine solche Sammlung zwar als “Rún” bezeichnet, hier bedeutet das Wort jedoch “Geheimnis”, nicht Runenzeichen. Dieses Buch enthält neben den besagten Galdrastafir auch Schriftsammlungen, darunter auch solche mit runenähnlichen Zeichen. Das Buch ist ein Sonderfall in der Gruppe der Zauberbücher, eine vergleichsweise junge Sammlung (entstanden Anfang des 20. Jh.), die von einem späteren historische Interesse an diesen Traditionen zeugt.
Das Zeichen, das Sie fotografiert haben, erinnert entfernt an einen “Kaupaloki”, wie er in ebenjener Sammlung dokumentiert ist, es könnte aber auch ein anderes Zeichen dieser Art sein; solche Galdrastafir sind häufig konzentrisch, an ein oder mehreren kreisförmigen Elementen ausgerichtet, wie das auf Ihrem Foto auch der Fall zu sein scheint.
Das Museum in Hólmavík (“Strandagaldur”) hat solche Dokumente und vielfältige Zeugnisse aus der Zeit der Hexenverfolgung in Island aufbewahrt … Im Museumsshop gibt es ein paar Bücher mit solchen Zeichen, die sie auch online durchblättern können (vgl. hier https://shop.galdrasyning.is/products/two-icelandic-books-of-magic)…“
Erkunde unentdeckte Lava-Pfade inmitten von Geschichte
Wenn du Einsamkeit liebst und Lavahügel malerisch, einen Strand mit großen, runden, schwarzen Steinen wunderschön findest oder zerklüftete tiefschwarze Felsenlava am Meer dich denken lässt, direkt innerhalb eines Vulkanausbruchs zu stecken. Oder du es lohnend findest, die übriggebliebenen Teile eines Schiffsrumpfes, der vor einem Vierteljahrhundert am Ufer stand und jetzt zwischen Grasbüscheln herausschaut, dir anzusehen, dann bist du hier richtig.
Wenn du dich für Wanderungen zwischen Lavaformationen, Steinhaufen oder für alte Schafspferche interessierst, die reich an vergangenen Geschichten sind, dann hat Straumsvik als Wandergebiet für dich sicherlich einen besonderen Charme. Die Natur in diesem Gebiet ist einzigartig. In der Bucht gibt es auch reichlich Vögel.
Wenn du die Natur innerhalb von Geschichte genießen möchtest, auch wenn du nicht viel über das Leben und die Menschen des Gebietes weißt, die einst hier lebten. Es dein Naturerlebnis einprägsamer macht, zu wissen, dass die Menschen mit ihren Freuden und Leiden hier nach unserem heutigen Empfinden von fast nichts lebten. Dann wird dich dieser Ort sicher genauso fesseln wie mich.
Die Ruinen und Denkmäler in der Gegend sind von menschlicher Aktivität unberührt geblieben. Spektakuläre Natur, großartige geologische Phänomene sowie einzigartige Wohndenkmäler. Hier findest du wertvolle Symbole dessen, was war.
Die Zukunft des Lavagebietes bei Straumsvík ist ungewiss. Es ist die Rede davon, dass ein großer Teil des Gebiets für Hafen- und Industriegebiete geplant werden soll. Vor einigen Jahren gründeten Menschen, die sich für den Schutz dieses Gebietes interessieren, Hafnarfjörðurs Outdoor-Vereinigung, um auf dieses einzigartige Gebiet aufmerksam zu machen.
Die Fotos sind zum Großteil am 8.4.2023 entstanden, einige andere am 4.2.2023. Ich habe jeweils zwei Stunden für meine Erkundungen in Straumsvik gebraucht.
Das Gebiet roch zu meinem Besuch noch sehr stark verbrannt, große Teile des Grases sind verbrannt und sehen entsprechend schwarz aus. Hier werden Regen und die Zeit hoffentlich schnell Neues hervorbringen.
SALTY.LAVA-Ausflugs-Tipps in der Umgebung:
Vielleicht möchtest du dich nach der Wanderung im türkisen Wasser der Blauen Lagune entspannen? Von hier sind es nur 30 Autominuten bis zu deiner Entspannung.
Oder möchtest du einen Familienausflug in die isländische Natur- und Tierwelt unternehmen? Dann empfehle ich das Sudernes Wissenschafts- und Lernzentrum in Sandgerdi. Es sind nur 30 Autominuten von Straumsvik.
Auch die beiden Gardskagi-Leuchttürme solltest du in 30minütiger Entfernung nicht verpassen.
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Quellen:
- Archäologisches Register von Hafnarfjörður V; Straumur, Óttarsstaðir und Lónakot, 2021
https://byggdasafnid.is/wp-content/uploads/2021/05/Fornleifaskra-Hafnarfjardar-V-Straumur-Ottarsstadir-og-Lonakot-2021.pdf - https://skyrslur.minjastofnun.is/
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