Salty.Lava konnte mit der CEO von ORF Genetics, Berglind Rán Ólafsdóttir, ein exklusives Interview führen und die Zerstörung des Gewächshauses dokumentieren.
Das Hightech-Gewächshaus nördlich von Grindavík inmitten eines Lavafeldes im UNESCO Geopark Reykjanes war einst das Herzstück von ORF Genetics. Seine Lage ist eigentlich spektakulär, innerhalb eines alten Lavafeldes, bewachsen mit grünem Moos. Es fiel besonders in den dunklen Wintermonaten auf, wenn es hell erleuchtet hervorstrahlte.
In der Nacht auf den 11. November 2023 änderte sich das abrupt. Der Standortvorteil in einem Gebiet mit reichhaltigen geothermischen und erneuerbaren Energieressourcen, der eine kostensparende und nachhaltige Beheizung des Gewächshauses ermöglichte, kehrte sich ins Gegenteil um. Weshalb? Die seismische Aktivität in Grindavík und nördlich davon nahm in einem Maße zu, dass die Stadt in der Nacht evakuiert werden musste. Dazu zählte auch das Gewächshaus von ORF Genetics.
Innovatives Pflanzenbiotechnologieunternehmen
In dem Gewächshaus wurde ein System entwickelt, das es ermöglichte, pflanzliche Wachstumsfaktoren in Gerstensamen zu produzieren. Durch den Einsatz dieser Technologie konnte ORF Genetics ein breites Spektrum an Proteinen für die Stammzellentechnologieforschung, Hautpflege, Biopharma und für kultiviertes Fleisch entwickeln.
Anbau von Gerste
Im Gewächshaus wuchsen einst in Lavagestein des Vulkanes Hekla und in Hydrokultur bis zu 130.000 Gerstenpflanzen, in denen EGF (Epidermal Growth Factor), ein natürlicher Wachstumsfaktor der Haut, hergestellt wurde. Die Gerste wurde in mit nur wenigen reinen Nährstoffen angereichertem, gefiltertem isländischen Wasser, gegossen. Ökologischer kann man Kosmetik, frei von Silikonen, Alkohol, Parfümen, Parabenen, Phtalaten, Mineralölen und Vaselinen wohl nicht herstellen.
BIOEFFECT – die eigene erfolgreiche Hauptpflegmarke
ORF Genetics gründete BIOEFFECT, nachdem seine Wissenschaftler die Methode zur Herstellung der EGF-Replik entdeckt hatten. EGF (Epidermal Growth Factor) ist eine pflanzliche Nachbildungen von einem natürlich in der menschlichen Haut vorkommenden Protein, das die Produktion von Kollagen und Elastin stimuliert und so zur Erhaltung einer gesunden, dichten und jugendlichen Haut beiträgt. BIOEFFECT ist seitdem ein globaler Erfolg geworden und seine wachsende Produktlinie wird weltweit verkauft.
Ihr jüngstes Produkt, MESOkine, das 2020 auf den Markt kam, beinhaltet tierische Wachstumsfaktoren, die speziell für die zelluläre Landwirtschaft entwickelt wurden, wobei der Schwerpunkt auf der Produktion von Fleisch aus Stammzellen liegt.
Aufgabe des Gewächshauses im November 2023
Im November 2023 musste sich die Firma ORF Genetics nach massiven Zerstörungen infolge von Erdbeben und einem Vulkanausbruch vom Gewächshaus verabschieden und hat es geräumt. Die Planungen und der Bau eines neuen Gewächshauses laufen.
Produktion zu keinem Zeitpunkt gefährdet
Die Produktion war zu keiner Zeit eingeschränkt, da ORF über genügend Lagerbestände an Wachstumsfaktoren verfügt.
Interview mit dem CEO von ORF Genetics, Berglind Rán Ólafsdóttir
Unsere Autorin Mirjam Lassak konnte eines der seltenen Interviews mit dem CEO von ORF Genetics, Berglind Rán Ólafsdóttir, führen.
SaltyLava: Wie lange hofften Sie, zurückkehren zu können, oder war Ihnen von Anfang an klar, dass Sie das Gewächshaus aufgeben müssen?
Berglind: Wir besuchten das Gewächshaus zwei Tage nach Beginn der Erdbeben im November letzten Jahres und sahen, dass es bereits schwer beschädigt war. Wir haben das Gewächshaus 2007 gebaut und es war eine sehr positive Erfahrung, es in der Nähe der Stadt Grindavík zu betreiben und mit der örtlichen Gemeinde zusammenzuarbeiten. Wir hätten unseren Gewächshausbetrieb dort gerne fortgesetzt. Im Januar wurde das Gebäude jedoch offiziell für irreparabel erklärt und es wurde klar, dass das nächste Gewächshaus von ORF Genetics aufgrund der anhaltenden seismischen Aktivität nicht in oder in der Nähe von Grindavík liegen würde.
SaltyLava: Wann haben Sie es geräumt und verlassen? War das auch mit der Evakuierung von Grindavík im November?
Berglind: Wir haben den Betrieb im Gewächshaus im November eingestellt. Während des seismischen Ereignisses, das die Evakuierung von Grindavík im November verursachte, waren keine Mitarbeiter im Gewächshaus anwesend, sodass eine Evakuierung nicht notwendig war. Vor der seismischen Aktivität hatte sich das Notfallkomitee des ORF bereits auf ein solches Szenario vorbereitet, indem es ein Notfallprotokoll erstellte. Dieses Protokoll, das einen Plan zur Bergung wertvoller Gegenstände aus dem Gewächshaus enthält, wurde vor, während und nach Beginn der seismischen Aktivität befolgt. Das Protokoll wurde erfolgreich ausgeführt, und wir arbeiteten mit der Polizei und anderen Behörden zusammen, um nach dem Ereignis wertvolle Gegenstände aus dem Gewächshaus zu bergen.
SaltyLava: Gab es ein Abschiedsritual?
Berglind: Nein, wir haben kein Abschiedsritual abgehalten. Das Gebiet bleibt gefährlich, daher war es unsere Priorität, die dort verbrachte Zeit so gering wie möglich zu halten. Sobald sich die geologische Situation stabilisiert, werden wir uns von unserem schönen Gewächshaus verabschieden, das uns so lange so gute Dienste geleistet hat. Es markiert sicherlich das Ende einer Ära für uns.
SaltyLava: Wo und wie konnten Sie in kurzer Zeit ein neues Gewächshaus bauen?
Berglind: Ja, wir haben unseren Anbau in ein anderes Gewächshaus in einem anderen Teil Islands verlegt, wo wir derzeit unsere Gerste anbauen.
SaltyLava: Hatten Sie jemals Angst, dass die Zerstörung des Gewächshauses dem Unternehmen Bioeffect als Ganzes schaden könnte oder hatten Sie infolgedessen zunächst Produktionsengpässe?
Berglind: Unsere Hauptsorgen im Vorfeld des Ereignisses, während der kleineren Erdbeben, die der Evakuierung von Grindavík vorausgingen, galten der Sicherheit unserer im Gewächshaus arbeitenden Kollegen und der Bewohner von Grindavík. Zu den Vorsichtsmaßnahmen gehörten verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für unser Personal, wie in unserem Sicherheitsprotokoll beschrieben. In Bezug auf den Betrieb ist es Teil der Risikomanagementstrategie von ORF, einen Gerstenvorrat für unsere Kunden vorzuhalten, sodass wir infolge der Ereignisse keine Engpässe hatten.
SaltyLava: Hat die Regierung Sie in gleicher Weise entschädigt wie die Bewohner von Grindavík? Mit anderen Worten, konnten Sie das Gewächshaus zu ähnlichen Bedingungen verkaufen oder gab es keine oder andere Vereinbarungen für Unternehmen?
Berglind: Die Naturkatastrophenversicherung Islands, eine staatliche Einrichtung, versichert sowohl Einzelpersonen als auch Unternehmen bei Ereignissen wie denen in Grindavík. Das Gewächshaus war voll versichert und wir wurden entschädigt.
SaltyLava: Sehen Sie Ihre Zukunft in Grindavik oder planen Sie, das Gewächshaus wieder aufzubauen?
Berglind: Nein, wir werden in dieser wunderbaren Gegend kein Gewächshaus betreiben, da die Erdbebenaktivität noch immer anhält und es daher für unser Geschäft ungeeignet ist. Wir werden jedoch unseren Gewächshausbetrieb in Island fortsetzen und dabei das reine isländische Wasser und die erneuerbare Energie nutzen, die wir hier glücklicherweise haben.
Es folgt eine Foto-Dokumentation des zerstörten Gewächshauses von ORF Genetics
Erhebliche Risse durch das Gewächshaus
Das Gewächshaus steht direkt über einem Rissbereich. Welche Auswirkungen Erdbeben und Vulkanaktivität auf das Gewächshaus hatten, dokumentiere ich nachfolgend. Ausgehend der aktuellen Aufzeichnung aller Oberflächen- und ehemals sprudelnder Risse des Wetteramtes Vedurstofa kann man anhand der Risse, die um das Gewächshaus herum entstanden sind, den Verlauf der Risse von Nord nach Süd bis nach Grindavik gut nachverfolgen.
Lageplan des Gewächshauses in Grindavik
Im nachfolgenden Bild wird eindeutig klar, wie die Lavaschutzmauer nördlich des Gewächshauses (orange) ihre Arbeit getan hat, nämlich das Gewächshaus vor der Überflutung geschützt.
Risse, die das Gewächshaus umgeben bzw. direkt hindurchgehen
FOTO-DOKUMENTATION
#1 Anfahrt
#2 Fotos aus Richtung unterhalb der Lavaschutzmauer L7
#2 Fotos aus südlicher Seite, aus Richtung Grindavik
Hier sieht man auch gut, wie das Gewächshaus zu einer Seite abgesackt ist.
Wenn du dich für mehr Nachrichten aus Island, auch zum seismischen und zum Vulkangeschehen aus Island interessierst, dann besuche meine Webseite saltylava.de. Auf ihr findest du Nützliches, was du rund um die vergangenen Vulkanausbrüche wissen musst.
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